„Schuldenbremse“ – Volksentscheid 4

1. Inhalt des Gesetzes

Das Gesetz sieht folgende Änderung vor:

– In der Verfassung wird, wie schon nach dem Grundgesetz, ab dem Haushaltsjahr 2020 verboten, neue Schulden aufzunehmen (keine Nettokreditaufnahme).

– Von dem Verbot kann nur abgewichen werden, um einer negativen konjunkturellen Entwicklung entgegen zu wirken.

– Eine Kreditaufnahme ist ansonsten nur bei Naturkatastrophen und anderen außergewöhnlichen Notsituationen zulässig, um die Handlungsfähigkeit des Landes zur Krisenbewältigung zu gewährleisten. In diesen Fällen ist eine entsprechende Tilgungsregelung und Rück-führung binnen eines angemessenen Zeitraums vorzusehen.

2. Begründung des Landtags

Im vom Landtag beschlossenen gemeinsamen Gesetzentwurf der Fraktionen von CSU, SPD, FREIE WÄHLER und FDP (LT-Drs. 16/15140) wird zur Begründung Folgendes ausgeführt:

Zu § 1 (Art. 82 – Schuldenbremse)

Die Schulden der öffentlichen Haushalte des Bundes und der Länder (einschließlich Extrahaushalte) sind in den vergangenen Jahren ständig gewachsen. Allein in der Zeit zwischen 2000 und 2011 sind sie um mehr als 70 v.H. gestiegen und erreichten Ende 2011 rund 1,9 Bio. Euro.

Bund und Länder haben angesichts dieser Tatsache im Jahre 2009 in einer gemeinsamen Anstrengung das Grundgesetz geändert und die Verschuldungsregeln für den Bund und die Länder deutlich verschärft. Das Grundgesetz verpflichtet den Bund ab 2016 und die Länder ab 2020, ihre Haushalte grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen. Nur in vom Grundgesetz ausdrücklich bezeichneten Ausnahmen – Naturkatastrophen, außergewöhnliche Notfälle und (negativen) Abweichungen von der konjunkturellen Normallage – sind neue Kredite zulässig. Um auf solche Situationen reagieren zu können, sind landesrechtliche Regelungen zur Ausgestaltung der grundgesetzlichen Schuldenbremse erforderlich.

Die neue Verfassungsbestimmung soll den in Bayern bereits eingeschlagenen Weg zu einem schulden-freien Haushalt bestätigen. Eine Kreditaufnahme wird zukünftig nur bei Naturkatastrophen, außergewöhnlichen Notsituationen und bei (negativen) Abweichungen von der konjunkturellen Normallage zulässig sein.

Um die Bayerische Verfassung an die aktuelle Fassung des Grundgesetzes anzupassen, ist der Landtag auf die Zustimmung der Bürger angewiesen. Änderungen der Bayerischen Verfassung bedürfen eines Volksentscheids.

Ziel der Verfassungsänderung ist es, in Einklang mit den Vorgaben des reformierten europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts die institutionellen Voraussetzungen für die Sicherung einer langfristigen Tragfähigkeit des Landeshaushalts zu verbessern. Das Ergebnis der jüngsten Föderalismusreform durch Gesetz vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2248) verpflichtet in Art. 109 Abs. 3 GG Bund und Länder, ihre Haushalte grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen. Lediglich für eine Übergangszeit bis zum 31. Dezember 2019 dürfen die Länder auf der Grundlage ihres bisher geltenden Verfassungs- und Haushaltsrechts noch hiervon abweichen. Schon jetzt haben sie indessen ihre Haushalte so aufzustellen, dass sie spätestens nach Ablauf dieses Zeitraums auf eine Kreditaufnahme zum Haushaltsausgleich nicht mehr angewiesen sein werden (Art. 143d Abs. 1 Satz 3 und 4 GG). Die Kreditfinanzierung wird künftig nur in besonderen Ausnahmefällen und auch nur dann zulässig sein, wenn das Landesrecht sie ausdrücklich vorsieht. Diese Ausnahmen beschreibt das Grundgesetz ab-schließend:

Eine ausnahmsweise Nettoneuverschuldung wird zukünftig zum einen bei (negativen) Abweichungen von der konjunkturellen Normallage zulässig sein. Regelungen zur im Auf- und Abschwung symmetrischen Berücksichtigung der Auswirkungen einer von der Normallage abweichenden konjunkturellen Entwicklung enthält das Ausführungsgesetz nach Art. 82 Abs. 5.

Zum anderen können die Länder Ausnahmerege-lungen über die Kreditaufnahme bei solchen Naturkatastrophen und außergewöhnlichen Notsituationen vorsehen, die sich staatlicher Kontrolle entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen. In diesem Zusammenhang dürfen Kredite nur unter der Voraussetzung zugelassen werden, dass eine entsprechende Tilgungsregelung vorgesehen wird (Art. 109 Abs. 3 Satz 2 und 3 GG).

Das grundsätzliche Verbot des Haushaltsausgleichs durch Einnahmen aus Krediten gilt für die Länder unmittelbar, nur über die Ausgestaltung der noch gestatteten Ausnahmen entscheiden sie im Rahmen der grundgesetzlichen Vorgaben in eigener Zuständigkeit. Ob und in welchem Umfang sie derartige Regeln in ihre Verfassungen aufnehmen, dem einfachen Gesetzgeber überlassen oder gänzlich auf sie verzichten, legt das Grundgesetz nicht fest und bleibt den Ländern vorbehalten. Mit der ausdrücklichen Aufnahme einer entsprechenden Vorschrift in die Verfassung des Freistaates Bayern, die nur mit Zustimmung des Volkes möglich ist, macht der Verfassungsgeber deutlich, dass diese Schuldenregelung in Bayern auch unabhängig von ihrer Normierung im Grundgesetz gelten soll.

Art. 82 Abs. 1: Die Regelung des Art. 82 Abs. 1 normiert den Grundsatz eines ohne Nettokreditaufnahme  auszugleichenden Landeshaushalts. Das Grundgesetz verwendet demgegenüber die Formulierung „ohne Einnahmen aus Krediten“ (vgl. Art. 109, 115 GG). Dies beinhaltet nach allgemeiner Meinung das grundsätzliche Verbot der Nettoneuverschuldung (Nettokreditaufnahme). In die Bayerische Verfassung wird der präzisere Begriff der Nettokreditaufnahme aufgenommen. Einzelheiten regelt das Gesetz nach Art. 82 Abs. 5. Anschlussfinanzierungen für auslaufende Altschulden bleiben unberührt. Das Verbot der Nettokreditaufnahme bezieht sich ausschließlich auf den Landeshaushalt. Eine Einbeziehung etwaiger Defizite der Gemeinden würde sowohl inhaltlich als auch in der zeitlichen Abfolge unerfüllbare Informationsanforderungen an die Aufstellung der Haushalte stellen.

Art. 82 Abs. 2: Nach Art. 82 Abs. 2 ist eine Kreditaufnahme in Um-setzung des Art. 109 Abs. 3 Satz 2 GG ausnahmsweise zur Berücksichtigung der Auswirkungen der konjunkturellen Entwicklung auf den Staatshaushalt zulässig. Ein konjunktureller Auf- und Abschwung kann insoweit symmetrisch berücksichtigt werden. Eine solche symmetrische Konjunkturkomponente hat das Land in eigener Verantwortung auszugestalten. Ihm ist es demnach freigestellt, zur konjunkturellen Unterstützung Kredite aufzunehmen, die dann in Phasen guter Konjunktur getilgt werden.

Auf der Grundlage des Art. 82 Abs. 2 kann der Haushaltsgesetzgeber infolge einer negativen konjunkturellen Entwicklung vom grundsätzlichen Verbot der Nettoneuverschuldung abweichen. Durch die symmetrische Berücksichtigung der konjunkturellen Auswirkungen auf den Haushalt wird bezweckt, ein prozyklisches Verhalten zu vermeiden und die durch das Wirkenlassen der automatischen Stabilisatoren bedingte Kreditaufnahme in Abschwungphasen durch entsprechende Überschüsse in Aufschwungphasen auszugleichen. Damit soll insbesondere auch den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung getragen werden. Die Einzelheiten der Kreditaufnahme in Ausnahmefällen regelt das Gesetz nach Abs. 5.

Neben der Konjunkturkomponente besteht für den Haushaltsgesetzgeber weiterhin die Möglichkeit, im Wege der Rücklagensteuerung den Haushalt auszugleichen.

Art. 82 Abs. 3: Die Regelung des Art. 82 Abs. 3 sieht in Umsetzung des Art. 109 Abs. 3 Satz 2 GG vor, dass eine Kreditaufnahme bei Naturkatastrophen und anderen außergewöhnlichen Notsituationen zulässig ist. Hierdurch soll die Handlungsfähigkeit des Landes zur Krisenbewältigung gewährleistet werden. Da eine nähere Bezeichnung möglicher Naturkatastrophen und außergewöhnlicher Notsituationen wegen der Vielzahl und Unterschiedlichkeit denkbarer Anwendungsfälle nicht möglich ist, werden diese unbestimmten Verfassungsbegriffe durch drei Kriterien eingegrenzt, die gleichzeitig erfüllt sein müssen:

─ Die Notsituation muss außergewöhnlich sein,

─ ihr Eintritt muss sich der Kontrolle des Staates entziehen und

─ sie muss den Haushalt erheblich beeinträchtigen.

Naturkatastrophen sind in Anlehnung an die Voraussetzungen der Amtshilfe nach Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG unmittelbar drohende Gefahrenzustände oder Schädigungen von erheblichem Ausmaß, die durch Naturereignisse ausgelöst werden (z.B. Erdbeben, Hochwasser, Unwetter, Dürre, Massenerkrankungen). Andere außergewöhnliche Notsituationen, die sich der staatlichen Kontrolle entziehen, mithin auf äußeren Einflüssen beruhen, die nicht oder im Wesentlichen nicht der staatlichen Kontrolle unterliegen, können beispielsweise sein:

– besonders schwere Unglücksfälle im Sinn des Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG, d.h. Schadensereignisse von großem Ausmaß und von Bedeutung für die Öffentlichkeit, die durch Unfälle, technisches oder menschliches Versagen ausgelöst oder von Dritten absichtlich herbeigeführt werden;

– eine plötzliche Beeinträchtigung der Wirtschaftsabläufe in einem extremen Ausmaß aufgrund eines exogenen Schocks wie beispielsweise der aktuellen Finanzkrise, die aus Gründen des Gemeinwohls aktive Stützungsmaßnahmen des Staates zur Aufrechterhaltung und Stabilisierung der Wirtschaftsabläufe gebietet.

Zyklische Konjunkturverläufe im Sinn von Auf- und Abschwung sind demgegenüber keine außergewöhnlichen Ereignisse. Das Erfordernis der erheblichen Beeinträchtigung der Finanzlage bezieht sich auf den Finanzbedarf zur Beseitigung der aus einer Naturkatastrophe resultierenden Schäden und für vorbeugende Maßnahmen. Gleiches gilt für den Aufwand zur Bewältigung und Überwindung einer außergewöhnlichen Notsituation.

Satz 2 schreibt die Verpflichtung fest, bei Ausnahmen gemäß Satz 1 eine entsprechende Tilgungsregelung vorzusehen. Diese muss die Rückführung der Kredite verbindlich regeln. Satz 3 bestimmt, dass die Rückführung binnen eines angemessenen Zeitraums zu erfolgen hat. Die Rückführungspflicht soll ein weiteres Anwachsen der Staatsschulden verhindern. Welcher Zeitraum für die Rückführung als angemessen anzusehen ist, ist in Ansehung der Größenordnung der erhöhten Kreditaufnahme sowie der konkreten konjunkturellen Situation zu entscheiden.

Die Einzelheiten der Kreditaufnahme in Ausnahmefällen regelt das Gesetz nach Art. 82 Abs. 5.

Art. 82 Abs. 4:Die bisherige Regelung des Art. 82 Satz 2 der Verfassung wird im Hinblick auf die aktuelle Fassung des Grundgesetzes (Art. 115 Abs. 1 GG) entsprechend aktualisiert.

Art. 82 Abs. 5:Wegen der Einzelheiten wird in Absatz 5 auf ein formelles Gesetz verwiesen.

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